Talkshow-Kritik: Talkshow-Kritik „Rußland hat einen Angriffskrieg gestartet und ist kein sicherheitspolitischer Partner“

So viel Patriotismus war lange nicht. Plötzlich ist das P-Wort in aller Munde und man liest es in Zeitungen und hört es in Sendern, von denen man lange nicht wußte, ob ihre Rechtschreibkorrektur es überhaupt noch kennt. Und das ist das Verdienst der AfD, über deren Markenkern derzeit diskutiert wird wie selten zuvor. Pure Freude kann die Partei daran allerdings nicht haben, um es zurückhaltend zu formulieren. Denn über die AfD ist eine Patriotismus-Debatte ex negativo hereingebrochen.

Ob es ihm „als Patriot nicht den Magen umdrehe“, wenn er „lupenreine Kreml-Propaganda“ aus dem engsten Führungszirkel seiner Partei höre, mußte sich Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher der AfD, bei Markus Lanz (ZDF) fragen lassen. Schließlich habe er doch „diesem Land auch an ganz besonderer Stelle gedient“, so Lanz. Oberst a. D. Lucassen gerät in die Defensive, verteidigt sich mit dem „Pluralismus“ seiner Partei.

Äußerlich unbewegt kontert er die mit zahlreichen Zitaten gespickten Vorwürfe des Moderators mit einem Bekenntnis in eigener Sache ab. „Ich habe nicht nur als Soldat gedient, ich habe mein ganzes Leben für dieses Land gedient. Weil mir Deutschland, mein Vaterland sehr, sehr viel gegeben hat“, versichert Lucassen, der Deutschland zeitweise sogar in der Nato vertrat. Die Stimme rutscht ihm dabei leicht weg, Lucassen ist angefaßt. Den „Patrioten“ läßt er sich von niemandem absprechen, was aber auch keiner will. Doch in der Hauptsache, was die Kreml-Nähe von Teilen seiner Partei angeht, bleibt Lucassen vorsichtig und vage.

Lucassen und die „Volksverräter“ in der AfD

Das hat seine Gründe und eine Vorgeschichte. Vor einem Jahr hatte sich Lucassen bei Lanz weit aus dem Fenster gelehnt und seinen Fraktionskollegen Eugen Schmidt, Vorsitzender der Rußlanddeutschen in der AfD, und Steffen Kotré „Volksverrat“ vorgeworfen. Die beiden hatten sich in russischen Staatsmedien für Putins Kriegspropaganda einspannen lassen. Ein daraufhin entbrannter Streit innerhalb der AfD endete mit einer Entschuldigung Lucassens. „Parteimitglieder als Volksverräter zu bezeichnen, ist überzogen und falsch“, schrieb Lucassen. Er wolle sie persönlich um Entschuldigung bitten. Seine Kritik an Putin-Propagandisten in der AfD nahm Lucassen nicht zurück.

Das will Markus Lanz diesmal aus gegebenem Anlaß genauer wissen. Vorwürfe der Parteinahme und des Lobbyismus für die Autokratien in Rußland und China, ja sogar Bestechungsvorwürfe gegen führende AfD-Politiker machen die Runde. Noch sei nichts bewiesen, geschweige denn gerichtsfest, betont Lanz – und doch schimmert hier und dort eine dunkle Seite des „gärigen Haufens“, wie Alexander Gauland einmal seine AfD apostrophierte, durch – und die unbequeme Weisheit dieser Metapher. Gärung führt zu Klärung und setzt Energie frei, aber eben auch Faulgase. Gerade hat die Hamburger AfD-Fraktion die Abgeordnete Olga Petersen ausgeschlossen, weil sie heimlich als „Wahlbeobachterin“ nach Rußland gereist war und Putins Urnengang als „offen, demokratisch und frei“ gelobt hatte.

Der AfD-Mann weicht aus

„Die Rußland-Connection in Ihrer Partei, die China-Connection“ – spielt Lanz auf den Fall des AfD-Europawahlkandidaten Maximilian Krah an –, „man hört jetzt auch von einer Nordkorea-Connection, von einer Iran-Connection. Sie haben das alles sehr früh gewußt. Warum haben Sie sich entschuldigt?“, fragt Markus Lanz. „Weil der Begriff Volksverrat so verkehrt gewesen ist“, sagt Lucassen. Gerade AfD-Außenpolitiker müßten sich mit diesen Ländern auseinandersetzen, und im Fall Krah sei noch nichts bewiesen. Lanz läßt nicht locker und wird grundsätzlich. „Ist China, ist Rußland, sind das bessere Partner als die USA?“, fragt er.

„Wir wissen nicht, wer in Zukunft der bessere Partner sein wird für Deutschland“, weicht Lucassen zunächst aus. Erst nach mehrmaligem Nachfragen dann: „Aus sicherheitspolitischer Sicht ist es sicherlich nicht Rußland.“ Rußland habe vor zwei Jahren einen Angriffskrieg begonnen. „Das wissen wir. Und das ist zu verurteilen, eindeutig.“ Wenn es aber um wirtschaftliche Interessen gehe, „dann wäre es zurzeit sicherlich eher China“, ergänzt Lucassen – „wenn man sich auf Augenhöhe begegnen würde“. Wem er mehr vertraue, „China, Rußland oder den USA?“, hakt Lanz noch einmal nach. „Ich vertraue am meisten mir, ich vertraue am meisten dem deutschen Volk“, sagt Lucassen. Er habe keine Veranlassung, jetzt zu sagen, daß er einem Land besonders traue. „Jedes Land hat eigene Interessen, was ich auch für vollkommen legitim erachte“, läßt sich der AfD-Mann nicht festlegen.

Hohes Niveau der Debatte

Ein Bekenntnis zur unverbrüchlichen Verbundenheit mit „dem Westen“ klingt anders. Der Begriff „Äquidistanz“ steht im Raum, ohne daß er fällt. Doch Lanz beläßt es dabei. Stattdessen bittet er den Politikwissenschaftler Herfried Münkler zu einem Exkurs über das komplizierte Verhältnis der Deutschen zu ihren östlichen Nachbarn. Vom Rapallo-Pakt, dem Separatfrieden des Deutschen Reiches mit dem zaristischen Rußland im Ersten Weltkrieg, bis zu den immer wieder erneuerten Avancen des Kreml, einem „System kollektiver Sicherheit von Wladiwostok bis Lissabon“ beizutreten. Das sei „alter Sowjetsprech“, assistierte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München. Es gehe dabei um ein russisch dominiertes Europa und die sicherheitspolitische Loslösung Europas aus der Nato, resümiert Masala.

Das Niveau der Debatte ist hoch und von gegenseitigem Respekt geprägt, auch als es dann noch um die Frage deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine geht. Lucassen lehnt diese ab – wie die Mehrheit in seiner Partei. Dennoch hat es der Patriot Rüdiger Lucassen wohl in der AfD sicher nicht leicht. Aber wann und wo hatten es Patrioten jemals leicht?

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