Schicksalsschlag: Schicksalsschlag Sein Name war Filipp

Die Eltern können vor Trauer nicht sprechen. Ihr Sohn ist tot. Filipp war ihr Nesthäkchen. Der Junge wurde nur 16 Jahre alt. Er starb neun Tage, nachdem er in eine brutale Schlägerei geraten war. Die Familie kämpft um die Aufklärung der Tat. Was passierte am 30. Januar auf der Skaterbahn in Meinerzhagen in Nordrhein-Westfalen?

„Bei uns zu Hause klingelte das Telefon“, erzählt Wilhelm Sergejev, der große Bruder von Filipp, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Eine Bekannte war dran, sprach mit meiner Mutter. Ihr Sohn hatte ihr erzählt, daß er Filipp auf der Skaterbahn gesehen hatte. Er lag auf dem Boden. Es waren mehrere Krankenwagen da.“ Nur Minuten später klingelte es an der Tür. „Polizisten standen dort. Sie sagten, daß Filipp im Krankenhaus ist. Mein Vater ist sofort losgefahren. Er wußte ja nichts Genaues und hat sich alles Mögliche gedacht, vielleicht einen Beinbruch.“ Doch mit dem, womit er dann konfrontiert wurde, hätte der Vater niemals gerechnet, sagt der 30jährige.

Was war geschehen? Um 18.20 Uhr war es in der Straße Am Stadion in Meinerzhagen zu einer Schlägerei gekommen. „Nach der Schlägerei flüchteten mehrere Personen in verschiedene Richtungen“, teilte die Polizei mit. „Ein 16jähriger wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen vorgefunden. Er wurde durch Rettungskräfte in ein Krankenhaus gebracht. Die Hagener Staatsanwaltschaft hat nun mit einer Mordkommission der Hagener Kriminalpolizei die Ermittlungen aufgenommen.“

Die Täter schlagen immer wieder zu

Abends sieht nun Vater Alexander Sergejev sein jüngstes Kind im Bett auf der Intensivstation liegen. Angeschlossen an Maschinen, die seine Körperfunktionen überwachen, Infusionen sind gelegt, ein Beatmungsgerät hält ihn am Leben. „Mein Bruder war nicht ansprechbar, er lag im Koma“, sagt Wilhelm. Filipps Mutter Gertrude, seine Schwestern und auch Bruder Wilhelm eilen zum Krankenbett. „In diesem Zimmer haben wir dann neun Tage unseres Lebens verbracht und immer gebetet, daß er wieder zu sich kommt. Dabei haben die Ärzte uns von Anfang an gesagt, daß wir uns keine großen Hoffnungen machen sollten.“

Währenddessen ermittelt die Polizei. Kriminaltechniker sichern Spuren an der Skaterbahn. Die Personalien mehrerer Tatverdächtigen werden festgestellt. Wohnungen werden durchsucht, Jugendliche vernommen, Handys beschlagnahmt und ausgewertet. Die Frage nach dem genauen Tathergang muß geklärt werden. Bisher scheint es für die Familie so, daß sich zwei Jugendgangs eine Schlägerei geliefert haben sollen. Filipp soll versucht haben, den Streit zu schlichten, und sei selbst Opfer geworden. Sein Bruder: „Die Schläger, so sagte es mir einer der Jungs, der dabei war, sollen auf Filipp noch eingeschlagen haben, als er auf dem Boden lag. Er soll schwer geatmet haben.“

Die Beatmungsmaschinen werden abgestellt

In Filipps letzter Nacht wachen seine Mutter und seine Schwestern bei ihm am Bett. „Dann kamen die Ärzte morgens und sagten, daß wir nun alle kommen sollten, weil nur noch ein Testergebnis ausstünde. Wenn das den Hirntod bestätigen würde, würden sie die Beatmungsmaschinen abstellen.“ Und genau das passierte mittags. „Filipps Herz“, so sagt der Bruder, „schlug ungefähr noch fünf oder sieben Minuten, jedenfalls kam es mir so lange vor. Als ich sah, daß das Herz aufgehört hatte zu schlagen, bin ich aus dem Zimmer gerannt“. Das war am Donnerstag, den 8. Februar 2024.

Am selben Tag meldet die Polizei den Tod Filipps und bittet um Hilfe: „Staatsanwaltschaft und Polizei suchen weiter nach Zeugen, Hinweisgebern und auch Beweismitteln. Insbesondere ist es nicht auszuschließen, daß ein Video der Tat oder aus dem Tatumfeld existiert. Die Ermittler haben nun eine Möglichkeit geschaffen, dieses Material anonym der Mordkommission zukommen zu lassen.“

Justiz sieht kein Tötungsdelikt

Einen Tag später liegt das Obduktionsergebnis vor. Die gemeinsame Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft und Polizei Hagen liest sich folgendermaßen: „Den gerichtsmedizinischen Untersuchungen zufolge ist der vor einigen Tagen leblos aufgefundene 16jährige in einem Skaterpark in Meinerzhagen an starken inneren Hirnblutungen verstorben. Massive äußere Gewalteinwirkung auf den Kopf waren hingegen nicht zu erkennen. Das Ergebnis deutet nicht auf ein vorsätzliches Tötungsdelikt hin. Die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei werden fortgesetzt.“

Am 13. Februar wird Filipp in Meinerzhagen beerdigt. Der Sarg steht inmitten eines weißen Blütenmeers aus Tulpen, Nelken und Gerbera. 800 Menschen versammeln sich auf dem Friedhof. Die Familie ist Mitglied der Evangeliumschristen-Baptisten-Gemeinde, kam vor drei Jahren aus Kasachstan nach Deutschland. „Der christliche Glaube gibt meiner Familie in dieser schwierigen Situation Halt“, erklärt Wilhelm.

Die Familie ist tief gläubig

Auf der Beerdigung sagt Filipps Vater Alexander, daß sich sein Jüngster in den letzten Tagen verändert habe. Als er seinen Sohn darauf ansprach, sagte der, es gehe ihm nicht so gut. Deshalb hätten sie beide gemeinsam gebetet.  Auf dem Friedhof sagte der Vater auch, daß er dem Täter vergebe. „Das will ich erklären“, sagt Wilhelm gegenüber der JF. „Mein Vater sieht es als Christ als seine Pflicht an, dem Täter zu vergeben, so steht es in der Bibel. Aber natürlich müssen die Täter eine gerechte Strafe bekommen.“

Am selben Tag versammeln sich nachmittags 500 Meinerzhagener zu einem stillen Trauermarsch und Gedenken für Filipp. Sie gehen durch den Ort zur Skaterbahn. Meinerzhagen liegt rund 20 Kilometer von Lüdenscheid entfernt. Die Stadt hat rund 20.000 Einwohner. Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik stiegen die Straftaten von 2021 auf 2022 insgesamt um 13,43 Prozent. Auffällig ist der Anstieg bei Gewaltdelikten: Raub stieg im Vergleichszeitraum um 28,57 Prozent und Körperverletzungen um 22,77 Prozent.

Die Täter sind Stadtgespräch

Einige Brutalos aus den Schlägertruppen scheinen bekannt. „Die Täter stammen aus Meinerzhagen und Kierspe. Sie haben verschiedenen Nationalitäten“, sagt Wilhelm zur JUNGEN FREIHEIT. „Das sind mehrere Araber, und ein Rußlanddeutscher soll auch dabei sein.“

Die Polizei ermittelt nicht wegen Mordes oder Totschlag, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge. „Denn mein Bruder soll ja an einem Aneurysma gestorben sein.“ Gesundheitliche Probleme hatte er allerdings nie. Filipp ging auf die Städtische Sekundarschule in Meinerzhagen. Ein gesunder, sportlicher Junge. Er trainierte in einem Fitneßstudio, übte auf der Skaterbahn, liebte es zu kochen und Gitarre zu spielen.

Anzeige gegen Bruder des Opfers

Eine Frau meldete sich jetzt bei Wilhelm. „Sie erzählte mir, daß sie mit ihrem Sohn bei der Polizei war. Der Sohn hatte ein Video von der Tat in der Schule gesehen. Wer das Video auf dem Handy hat und es zeigte, hat er der Polizei gesagt.“ Wilhelm Sergejev ist mit seinen Schwestern zur Schule gegangen. „Ich habe mit der Direktorin gesprochen, vielleicht eine halbe Stunde. Die sagte mir, daß jetzt alles in den Händen der Polizei liegt und daß die alles herausfinden wird. Ich empfand das Gespräch als angenehm. Doch dann hat mich die Polizei angerufen und gesagt, daß die Direktorin mich wegen Bedrohung angezeigt hat.“

Die JF fragte bei Christof Hüls, Pressesprecher der zuständigen Kreispolizeibehörde im Märkischen Kreis, nach. „Es wird von Amts wegen wegen des Verdachts der Bedrohung ermittelt, nachdem die Schulleiterin die Polizei über zwei Vorfälle in der Schule informiert hatte.“ Und er stellt klar: „Die Schulleiterin hat keine Anzeige erstattet.“

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