Klagen gegen Wahlrechtsreform: Klagen gegen Wahlrechtsreform Kippt Karlsruhe die Fünfprozenthürde?

KARLSRUHE. Seit der Bundestag 1953 ein neues Wahlgesetz beschlossen hatte, gilt in Deutschland eine bundesweite Fünfprozentklausel. Doch die Zeiten, in denen die Stimmen für Parteien, die die Hürde nicht überwinden, einfach wegfallen, könnten vorbei sein. Parteienforscher und Staatsrechtler vermuten, daß das Bundesverfassungsgericht die Sperrklausel kippt.

Denn ab Dienstag verhandeln die höchsten deutschen Richter über die Klagen von CSU, Linken, Bayerischer Staatsregierung und Juristen gegen die Wahlrechtsreform der Ampel. Mit dieser fällt die sogenannte Grundmandatsklausel weg. Heißt: Wer drei oder mehr Direktmandate gewinnt, zieht nicht mehr – wie bisher – in den Bundestag ein, auch wenn er unter fünf Prozent bleibt.

Das könnte vor allem die CSU treffen, die zuletzt zwar 45 Direktmandate in Bayern gewonnen, aber bundesweit nur knapp die Fünfprozenthürde überwunden hatte. Und die Linke zog lediglich wegen dreier Wahlkreissiege in den Bundestag ein. Mit dem Wegfall der Direktmandatsregel gebe es nun also sogar zwei Sperrklauseln, argumentieren die Kritiker. Die Frage ist, ob dies noch grundgesetzkonform ist.

Fünfprozenthürde widerspricht „gleicher Wahl“

In Artikel 38 der Verfassung heißt es, die Bundestags-Abgeordneten werden „in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl“ gewählt. Die gleiche Wahl ist mit der Fünfprozentklausel nicht gegeben. Denn demnach müßte jede Stimme gleich viel zählen. Karlsruhe hatte die Hürde schon in vorigen Urteilen als „Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit“ bezeichnet und gemahnt, der Gesetzgeber müsse sie, zum Beispiel bei einer Wahlrechtsreform, überprüfen.

Einer der Kläger, der Regensburger Professor für Öffentliches Recht, Thorsten Kingreen, argumentiert, daß dieser Fall nun gegeben sei. „Die Fünfprozenthürde unterdrückt gesellschaftlichen Pluralismus mit fragwürdigen Homogenitätsfiktionen und Stabilitätserwartungen“, sagte der Rechtwissenschaftler bei der Erläuterung seiner Klage im vergangenen Herbst.

Nun bekommt er Unterstützung von anderen Experten. Der Göttinger Staatsrechtler Florian Meinel sagte der Zeit, er könne sich vorstellen, daß das Verfassungsgericht die Hürden für regionale Parteien ohne die Grundmandatsklausel als zu hoch ansehe. „Vielleicht wird jetzt die Fünfprozenthürde fallen.“

Bleibt jede vierte Stimme unberücksichtigt?

Der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl sieht das ähnlich: „Die freie und ungehinderte Wahl von Abgeordneten ist die Essenz der repräsentativen Demokratie“, sagte er der Welt. „Wenn die politische Mehrheit diese Auswahl durch Sperrklauseln einschränkt, dann ist das immer ein krasser Verstoß gegen das Demokratieprinzip.“ Die Wahlrechtsreform verschärfe das Problem. „Die Grundmandatsklausel abzuschaffen und gleichzeitig an der Fünfprozenthürde festzuhalten, bedeutet eine Verengung des Repräsentationsspektrums im Parlament.“

Die Klagen gegen die Abschaffung der bisherigen Direktmandatsregel würden somit zwar erfolglos bleiben. Aber das Bundesverfassungsgericht könnte dennoch ein wegweisendes Urteil sprechen, das die repräsentative Demokratie, wie sie seit 71 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert wird, erheblich verändert.

Laut der aktuellen Umfrage von infratest dimap würden durch die Fünfprozenthürde derzeit 17 Prozent der Stimmen (FDP vier Prozent, Linke drei Prozent, FW drei Prozent, Sonstige sieben Prozent) unter den Tisch fallen. Schaffen CSU und BSW jeweils knapp nicht die vorhergesagten fünf Prozent, wären es sogar 27 Prozent. Dann bliebe mehr als jede vierte Stimme bei der nächsten Bundestagswahl unberücksichtigt. (fh)

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