Hans Keller: Hans Keller Die Nationalistische Internationale blieb nur ein Ansatz

„Nationalisten aller Länder vereinigt euch!“ Die Parole klingt in den Ohren der meisten absurd. Und das mit gutem Grund. Denn das Wesen des Nationalismus besteht darin, dem eigenen Land einen Vorrang gegenüber jedem anderen einzuräumen. Was den Zusammenschluß der Nationalisten über Grenzen hinweg von der Sache her unmöglich macht. Denn spätestens im Konfliktfall lautet der Schlachtruf jedes Nationalisten „Das eigene Land zuerst!“

Trotzdem wurde im April 1934 – das genaue Datum ist unbekannt – eine Internationale Arbeitsgemeinschaft der Nationalisten (IAdN), auch als Nationalistische Internationale bezeichnet, gegründet. Deren Initiator war der Jurist Hans Keller, 1908 geboren, und trotz seines jugendlichen Alters schon im Besitz dreier Doktortitel. Einen wirtschaftswissenschaftlichen hatte er an der Universität München erworben, einen juristischen an der Universität Bordeaux und einen weiteren in derselben Disziplin an der Universität Kiel.

Neben seinen Studien, die er in Deutschland und Frankreich, aber auch in den USA und Großbritannien betrieben hatte, blieb Keller Zeit und Energie genug, ein Netzwerk zu schaffen, das Hochschullehrer, Intellektuelle und politische Aktivisten zusammenführte. Sein Hauptziel war es, eine Gegenorganisation zur Sozialistischen beziehungsweise Kommunistischen Internationale wie zum Völkerbund zu schaffen und dem linken beziehungsweise liberalen Universalismus eine Ideologie des „Supranationalismus“ entgegenzustellen.

Nationalistische Internationale verschwand bald wieder

Eine von Keller 1931 gegründete Deutsch-Europäische Union (samt zugehöriger Zeitschrift Deutscheuropa) scheiterte allerdings beim ersten Anlauf. Doch nach der „Nationalen Revolution“ glaubte er, daß die Zeichen für seine Projekte günstiger stünden. Pro forma lag der Sitz der IAdN zwar anfangs in Zürich, dann in London. Aber faktisch wurde die Arbeit von Berlin aus erledigt. Hauptursache dafür war, daß Keller auf die finanzielle und logistische Unterstützung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda angewiesen blieb. Die ermöglichte es ihm, bis 1936 immerhin drei Kongresse durchzuführen: in Berlin, London und Oslo. Eine weitere Zusammenkunft, die für Madrid vorgesehen war, mußte wegen des zwischenzeitlich ausgebrochenen Spanischen Bürgerkriegs abgesagt werden.

Es gab aber noch andere Faktoren, die dazu führten, daß die Nationalistische Internationale nach sehr kurzer Blüte wieder von der politischen Bühne verschwand. Einer war das bleibende Mißtrauen des Auswärtigen Amtes gegen den umtriebigen Keller, ein zweiter dessen ausgeprägter „Antifaschismus“. Der konnte in der Reichsführung unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung wegen der angespannten deutsch-italienischen Beziehungen toleriert werden oder sogar nützlich erscheinen.

Immerhin hatte sich Mussolini abschätzig über den Nationalsozialismus geäußert, den er wegen seiner Fixierung auf Rassenideologie und Judenfrage als typisches Produkt eines unterentwickelten Landes betrachtete. Parallel dazu ließ er 1933 die Comitati d’Azione per l’Universalità di Roma (CAUR) – die Aktionskomitees für die Universalität Roms – gründen, die einen Zusammenschluß aller faschistischer Parteien anstrebten, um so einen genuin faschistischen Internationalismus zu etablieren.

NS-Parteien in Nordeuropa blieben marginal

Keller hielt diesen Ansatz schon deshalb für verfehlt, weil er auf den Staat fixiert blieb, während er selbst einen konsequent „völkischen“ Gesichtspunkt zur Geltung zu bringen versuchte, um einerseits das „Dritte Europa“ (nach dem christlich-abendländischen und dem liberalen) zu verwirklichen, andererseits eine neue Ordnung zu schaffen, die das „Selbstseinsrecht“ (nicht die Selbstbestimmung) jedes Volkes zur Geltung bringen sollte. Wobei ihm entgegenkam, daß das Erstarken Deutschlands und das allmähliche Zutagetreten der Schwäche Italiens eine Umorientierung vieler politischer Bewegungen einleitete, die sich bis dahin an Rom ausgerichtet hatten und nun einen Schwenk in Richtung Berlin vollzogen.

Allerdings waren die NS-Parteien Dänemarks, Norwegens, Schwedens, mit denen Keller Kontakt aufnahm, eher marginale Größen, weit von jeder „Machtergreifung“ entfernt. Und Keller achtete außerdem darauf, daß die IAdN eine Vereinigung einzelner Mitglieder blieb und offen auch für Köpfe der politischen Rechten, die sich weder als Faschisten noch als Nationalsozialisten betrachteten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang der Brite Daniel Gerald Somerville, ein konservativer Parlamentarier, der französische Schriftsteller Louis Bertrand oder der ehemalige belgische Premier Henry Carton de Wiart.

1937 forderte Goebbels Keller auf, die IAdN zu liquidieren

Gewisse Erfolge, die Keller beim Aufbau der IAdN erzielte, konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zeit gegen ihn arbeitete. Spätestens mit der Gründung der „Achse Berlin-Rom“ und dem deutsch-japanischen „Antikominternpakt“ im Herbst 1936 schrumpfte sein Spielraum dramatisch. Die auf dem Kongreß in Oslo angekündigte Schaffung einer Akademie für die Rechte der Völker kam niemals über Ansätze hinaus. Schon im Frühjahr 1937 verlor Keller den Rückhalt des Propagandaministeriums, das ihn aufforderte, die IAdN zu liquidieren. Es gab zwar noch eine Vortragsreihe, die bis 1940 fortgesetzt werden konnte, aber am Jahresende 1941 mußten die letzten Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft eingestellt werden.

Zu dem Zeitpunkt hatte Keller auch die vorübergehende Protektion der Gestapo verloren, die ihm bei Kriegsbeginn seinen Paß entzog, um weitere Auslandsreisen zu verhindern. Man kann das auch als Hinweis auf das bleibende Mißtrauen des Regimes gegenüber einem Mann betrachten, der schon wegen der fehlenden Parteimitgliedschaft und seiner nie ganz mit der offiziellen Linie in Übereinstimmung stehenden Weltanschauung als Unsicherheitsfaktor galt. Immerhin machte das Projekt der IAdN wenn sonst nichts, dann doch deutlich, daß unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts selbst die Schaffung eines „völkischen“ Staates irgendwie mit den Erfordernissen globaler Politik zum Ausgleich gebracht werden mußte.

JF 17/24

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