Buchbesprechung: Buchbesprechung Sahra Wagenknecht – Die ewige Rebellin

Wie die Kaninchen auf die Schlange starren im Superwahljahr 2024 alle Parteien auf das BSW, das „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Hat die Ex-Linken-Politikerin das Zeug dazu, das bisherige Parteiensystem aufzumischen? Eine Frage, die nicht aus der Luft gegriffen scheint und in den Parteizentralen für Unruhe sorgt, so daß ein Blick auf diese Frau lohnt, die – ungewöhnlich genug – der neuen Formation ihren vorläufigen Namen gab. 

Der Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai bemüht die deutschen Dichter und Denker, um sich der 54jährigen in seiner lesenswerten Biographie zu nähern. Er nennt sie eine Ausnahmeerscheinung, was für den Politikbetrieb zweifellos zutrifft. Es ist nicht nur ihre gepflegte Erscheinung, die sich wohltuend abhebt von den schlampigen Proll-Fummeln bei Grünen und Linken im Bundestag. Es ist insbesondere die Bildung, die ein wenig an politische Geistesgrößen wie Carlo Schmid (SPD), Hans Maier (CSU), Richard Schröder (SPD), wohl auch an Joachim Gauck erinnert. Sahra Wagenknecht – eine intellektuelle Instanz?

In ihrer Jugendzeit im thüringischen Jena lebt sie in der Welt der Klassiker Goethe, Marx, Hegel, um nur einige Geistesgrößen zu nennen, geht auf in deren Kosmos. Die Einzelgängerin lernt Goethes Faust auswendig, ist so vertieft in ihre Lektüre, daß sie den Mauerfall im Herbst 1989 nur verspätet mitbekommt. Die Kommunistin ist fassungslos, denn die Konterrevolution hat gesiegt. „Der Herbst 1989 war, glaub ich, die schlimmste Zeit, die ich bisher erlebt habe“, sagt „Madame Lenin“ zu Hans-Dieter Schütt, einem Scharfmacher auf dem Chefredakteurssessel der FDJ-Zeitung Junge Welt.

Wagenknecht eckt früh an in der PDS

Immerhin darf sie jetzt in Jena Philosophie studieren, was ihr das SED-Regime verwehrt hatte. In ihrer Orientierungslosigkeit sucht die ohne Vater aufgewachsene Frau Kontakt zu dem Dramatiker Peter Hacks, einem orthodoxen Kommunisten, der 1976 die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann begrüßt hatte. Dritten gegenüber spricht Hacks von Wagenknecht als seinem „hübschen Pflänzchen“, deren Sympathien für den sowjetischen Diktator Stalin er unterstützt. Es ist eine seltsame Verbindung zwischen ihrem Mentor und der rund vierzig Jahre jüngeren Wagenknecht. 

Dank seiner profunden Kenntnisse über die DDR-Literaturszene verschafft Mai dem Leser einen intimen Einblick in deren gespaltenes Verhältnis zur diktatorischen Staatsmacht. Den Zusammenbruch des SED-Regimes haben eben nicht alle Ostdeutschen als Befreiung erlebt. Es gab insbesondere unter den Künstlern verbohrte Einheitsgegner, die unbeirrt von Stalins befohlenen Massenhinrichtungen und der Inhaftierung politischer Gegner in der DDR an die heile Welt des real existierenden Sozialismus glaubten.

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Dazu zählte auch die junge Wagenknecht, die im Wendejahr 1989 der SED beitritt. Die DDR-Staatspartei wird sich bald umbenennen in SED/PDS, dann PDS, und die Jungkommunistin legt die Klassiker beiseite, startet eine Parteikarriere. Mai zeichnet detailliert die erheblichen Widerstände nach, die ihr von der PDS-Führung entgegenschlugen. Gregor Gysi und Parteichef Lothar Bisky, ein Medienwissenschaftler mit intensiven Stasi-Kontakten, wollten die SED-Nachfolgepartei herausholen aus der Schmuddelecke und sozialdemokratisieren, um sie koalitionsfähig mit der seinerzeit noch starken SPD zu machen.

Bedrohung für Gysis Lebenswerk

Wagenknecht hielt massiv dagegen, wurde ab 1991 für knapp zwanzig Jahre Sprecherin der Parteigliederung „Kommunistische Plattform“ (KPF), die noch heute vom Verfassungsschutz als linksextremistische Organisation beobachtet wird. Ein Störfall für Bisky und Co, die sie lange aus den Führungsgremien der PDS heraushalten können. Spott macht die Runde über „Klara Klarsicht“ und ihren „toten Augen“. Eine Wiedergängerin der Linken-Ikone Rosa Luxemburg sei sie, nur deren hinkender Gang fehle noch. 

Doch Wagenknechts Aufstieg in der Partei war nicht aufzuhalten. Bundesvorstandsmitglied, PDS-Vizechefin, Mitglied im Europäischen Parlament, Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, und jetzt Co-Vorsitzende des von ihr gegründeten BSW. Wahrscheinlich hat Mai recht, Wagenknecht ist für jede Partei eine Zumutung. Deshalb darf man gespannt sein, ob ihr Projekt BSW erfolgreich sein wird. Noch wirken die anderen Parteien ratlos, wissen nicht, wie sie mit der Talkshow-Königin umgehen sollen. Gysi, der die SED-Nachfolgepartei nach dem Zusammenbruch der DDR vor dem Untergang rettete, muß befürchten, daß seine Dauer-Widersacherin sein Lebenswerk zerstört.

„Dort, wo man nicht mehr rechts sein darf, befindet man sich in einer linken Diktatur“

Der Verfasser nimmt sich auch der Privatperson Wagenknecht an. Ein schwieriges Unterfangen, denn die unnahbar wirkende Frau gibt sich wortkarg bei neugierigen Fragern. Was verständlich ist für eine Spitzenpolitikerin. Männer seien ihr immer „zu etwas nütze“, formuliert Mai etwas verwegen. Hacks habe sein „Pflänzchen“ intellektuell geprägt, ihr erster Ehemann Ralph Niemeyer, ein Hallodri mit Knasterfahrung, habe sie im Umgang mit den Medien geschult, und mit Ehemann Nummer zwei Oskar Lafontaine wolle sie maximalen politischen Erfolg erzielen. 

Jedenfalls ist sich das Powerpaar einig, daß sich ihre frühere Partei, die Linke, längst auf Abwegen befindet. Identitätspolitik statt Sozialpolitik. Wagenknecht hat dazu vor drei Jahren ein Buch („Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm“) geschrieben, eine bewußte Provokation ihrer Ex-Genossen. Der spätere Parteiaustritt deutet sich da bereits an. Ist die ewige Rebellin nun immer noch eine Kommunistin wie Mai meint? Will sie Unternehmen verstaatlichen, wie es einst der von ihr gepriesene DDR-Staatschef Walter Ulbricht zum Nachteil der Wirtschaft und Menschen ins Werk setzte? Auf eine Anmerkung des Autors sei noch verwiesen, die einen hohen Aktualitätsbezug hat. „Dort, wo man nicht mehr rechts sein darf, befindet man sich in einer linken Diktatur“. Wohl wahr.

JF 14/24

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